Die Meinungsumfrage-Falle

Zunächst hört sich das ja konstruktiv und basis-demokratisch an: Wenn nach einem konstruktiven Brainstorming eine mehr oder weniger lange Liste mit Namensideen zur Auswahl steht, wird einfach abgestimmt, um den besten zu ermitteln. Man befragt zunächst das Team, ggf. weitere Mitarbeitende oder die avisierte Zielgruppe nach Ihrer Meinung. Oder man geht mit einer Umfrage gleich an die Öffentlichkeit, wie es häufig im kommunalen Bereich gemacht wird, wenn das sanierte Freibad einen neuen Namen erhalten soll.

Auch Startups lassen gerne über Namen in der Öffentlichkeit, z.b. über Social Media abstimmen und etablierte Unternehmen erhoffen sich darüber einen Effekt bei der Kundenbindung und PR. Der Name mit den meisten Stimmen gewinnt dann und wird eingeführt. Klingt logisch, hat aber durchaus seine Tücken, wie das folgende Beispiel zeigt. So haben die Macher der Reselling Plattform Momox jüngst eine Umbenennung für ihr neues Kleidungsgeschäft auf diese Weise entschieden. (Quelle: SZ vom 30.12.2020

Dieses hatten sie zunächst Ubup genannt, abgeleitet von "used but precious" (gebraucht, aber wertvoll). Man war sich dann aber doch unsicher ob des ungewöhnlichen Namens, daher wurde zusammen mit Experten ein neuer Name gesucht. Dieser lautet nun "Momox Fashion". Auf die Frage der SZ, man bräuchte ja keine Experten, um auf Momox Fashion zu kommen, war die Antwort zu lesen, das habe man sich auch schon gedacht – aber: "Wir haben den Namen in Umfragen gegen mehrere Vorschläge ins Rennen geschickt. Bei Kunden und potentiellen Kunden kam Momox Fashion am besten an."

ubup - Logo (c) Momox GmbH

(c) Momox GmbH

Wir sagen: Schade für die Experten (sie waren nicht von Namestorm :-) und auch schade für den Namensprozess an sich. Was ist passiert? Momox Fashion ist eine einfache, beschreibende  Bezeichnung des Tätigkeitsbereichs, die zum eingeführten und bekannten Firmennamen hinzugefügt wurde. Um den Namen zu verstehen benötigt man keinerlei Nachdenken, Assoziationen oder kreative Sprünge. Für uns ist sonnenklar, das bei einer allgemein abgehaltenen Meinungsumfrage  eher dieser Name angekreuzt wird, wenn nach der Verständlichkeit oder dem spontanen "Gefallen" gefragt wird.

Außergewöhnliche Namen brauchen Zeit

Genau darin liegt aber das Problem. Wenn man etwas noch nicht kennt, wenn etwas neuartig oder "anders" klingt, benötigt man erst eine Zeit der Gewöhnung und Durchsetzung, um das "gut" zu finden. Auch der Name Momox erklärt überhaupt nicht, um was es geht, ist aber mittlerweile bekannt und damit in den Köpfen verankert. Genauso wäre es mit dem witzig klingenden Namen Ubup gegangen, hätte man ihm die gleiche Zeit und Aufmerksamkeit gegönnt.

Aufgeklappter Apple-Computer von hinten auf einem Tisch mit Notizbuch und Smartphone daneben.

Hätten Sie einen Obstnamen wie "Apfel" als Produktname für eine Computermarke gewählt?

Deshalb: Achtung bei Massenbefragungen und Achtung bei Abstimmungen, die rein nach dem Gefallen oder persönlichem Geschmack fragen. Hierbei kommt fast nie ein Name heraus, der etwas wirklich Neues oder Außergewöhnliches beinhaltet, sondern meist nur der kleinste gemeinsame Nenner - möglichst vertraut und auf keinen Fall anders. Oder denken Sie, bei einer Massenumfrage zu einem Namen für eine bahnbrechende Computertechnologie hätten die meisten für den "Apfel" gestimmt? Oder ein so ulkiger Name wie GOOGLE hätte sich dabei durchgesetzt? Wohl ziemlich sicher nicht.

Mehr Meinungen = weniger Ergebnis

Selbst wer nur die Mit-Entscheidenden im engsten Team befragt, wird immer deren eigenen Geschmack und subjektive Wahrnehmung in der Abstimmung vorfinden. Je mehr Meinungen man einholt, desto unklarer wird oft (leider) das Bild. Denn zu fast jedem Namen wie auch zu jeder neuen Idee lassen sich leicht Gegenargumente finden. Auf den ersten Blick mögen Menschen eher Dinge, die sich bekannt anhören, die nicht weh tun und über die man nicht zu lange nachdenken muss.

Und: Kritisieren fällt immer leichter als spontane Zustimmung! Wir haben einmal einem Kunden mehrere Namensfavoriten für ein schickes und innovatives Haushaltsgerät geschickt. Nachdem die Vorschläge intern an über 50 (!) Mitarbeitende und Entscheidende weitergeleitet und deren Meinung abgefragt wurde, kam am Ende gar keine Name in die engere Auswahl. Gegen jeden einzelnen Namen hatte mindestens ein(e) Befragte(r) aus einem der Dutzend Länder etwas einzuwenden.

Der eine perfekte Name, bei dem alle gleichzeitig begeistert vom Stuhl springen, ist tatsächlich in einer großen Befragung bisher noch nicht gefunden worden. Aber wie gelingt es nun, gemeinsam zu einem Ergebnis zu kommen, das nicht nur eine lahme Beschreibung sondern ein starker Markenname ist?

Finger deutet auf verschiedene, farbige Sprechblasen-Symbole.

Abstimmen: Ja , aber richtig!

Will man alle Beteiligten ins Boot holen oder durch Abstimmung unter Kunden zur Entscheidung kommen, gibt es drei wichtige Punkte zu beachten, um nicht in die oben genannten Fallen zu tappen:

1. Namen nur nach Kriterien abstimmen lassen!

Erste und wichtigste Regel für jede Namensabstimmung oder -umfrage: Stellen Sie niemals einfach die Frage "Welcher Name gefällt dir am besten?" Fragen Sie immer nach bestimmten Kriterien, sprich Merkmalen, Eigenschaften oder Werten, die der Name transportieren soll: "Welcher Name passt zu einem innovativen / zukunftsweisenden / sozialen / nachhaltigen... Unternehmen?"; "Welcher Name klingt kraftvoll/niedlich/sympathisch oder kreativ?" (alles außer "gut"); "Welcher Name vermittelt ein sportliches Image, einen aktiven Lebensstile, einen gesunden Alltag...?"

Entscheiden Sie sich für die wichtigsten Kriterien ihrer Namenssuche und setzen sie diese in die Fragen ein. Fragen Sie also, wie der Name wirken soll, nicht ob er gefällt. Das ist vollkommen irrelevant. Die Befragten werden so gezwungen, den Namen nach nachvollziehbaren Kriterium zu bewerten und nicht nur nach ihrem subjektiven Geschmack. Das Bild wird dann klarer. Wahrscheinlich hätte Ubup bei der Frage, "Welcher Name klingt außergewöhnlich/neu/anders in der Branche?" sehr viel mehr Stimmen bekommen. 

Stellen sie am besten auch keinen rein beschreibenden Namen neben andere, kreativere Ansätze. Sie können davon ausgehen, dass dann der beschreibende Name gewinnt. Dazu brauchen Sie keine Abstimmung bzw. sollte die Frage, ob es ein rein beschreibender Name werden soll oder nicht, bereits weit vorher geklärt sein.

2. Positives zuerst!

Zwingen sie die Befragten dazu, sich für einen (oder mehrere) Favoriten zu entscheiden und diese in den Vordergrund zu stellen. Fragen Sie nach dem Motto "Wenn nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre...?" nach den Namen, die am besten abschneiden: "Wenn Sie sich heute für einen der Namen entscheiden müssten, welche Kandidaten kämen grundsätzlich in Frage?" Kritik findet sich immer schnell und ist oft von ganz persönlichen Empfindungen unterminiert – siehe auch das Omas-Katze-Syndrom im Name-how Beitrag Der Namensfindungsprozess - Diskussion & Entscheidung.

Wenn Sie zusätzlich Kritik abfragen wollen, fordern Sie auf jeden Fall im zweiten Schritt eine möglichst auf Fakten basierte Begründung ein, warum der Name nicht passt. So kann man ggf. herausfinden, ob ein Name gleich bei mehreren Beteiligten Negatives auslöst oder ob man einen wichtigen Aspekt übersehen hat. Meist reicht aber tatsächlich eine positive Abfrage der Favoriten, da die Namen, die nicht passen, einfach keine Punkte bekommen. 

Achten Sie auch darauf, dass alle gleichberechtigt zu Wort kommen und sich nicht nur die Idee durchsetzt, die von sprachgewaltigen oder "wichtigen" Entscheidern bereits favorisiert wurde. Anonyme Abstimmungen sind immer dann hilfreich, wenn die Gefahr droht, dass lautstarke Meinungsmacher schon eine bestimmte Richtung vorgegeben haben.

Löwe brüllt mit weit aufgerissenem Maul.

Machtwort sprechen oder alle zu Wort kommen lassen?

3. Mit dem zweiten Blick – Abstimmung wiederholen!

Wenn Sie die Zeit dafür haben, setzen Sie die gleiche Befragung  noch einmal nach ein paar Tagen "Einwirkzeit" an. Sie werden staunen, wie sich die Meinung verändert, nach dem die Namen einige Zeit im Kopf gearbeitet und sich schon eine gewisse Gewöhnung eingestellt hat. Gerade neue oder anders wirkende Namen haben dann eine Chance, sich durchzusetzen.

In unseren digitalisierten Zeiten kann man auch sehr gut Onlinetools für die Abstimmung nutzen. Während einer Videokonferenz lässt sich beispielsweise die persönliche Chatfunktion nutzen, um die Stimmen von einem Moderator sammeln zu lassen. Noch anonymer geht es mit eingebauten Abfrage-Tools der Anbieter (z.B. in Zoom) oder über freie online Voting Tools wie Konsens. Auch hier sind anonyme Abstimmungen möglich, die nur vom Initiator der Abstimmung eingesehen werden können.

Tipp: Besonders clever sind Abstimmungen ohne Punktevergabe bzw. Rankings, indem die Befragten Namensalternativen in eine Reihenfolge bringen müssen. Das fällt leichter, als sich für den einen einzigen Favoriten zu entscheiden – und man wird gezwungen, einen Favoriten nach oben zu stellen (siehe: Positives zuerst!).

All diese Maßnahmen sorgen für einen zielorientierten und effektiven Prozess, der nach wochenlanger kreativer Arbeit nicht nur zum kleinsten gemeinsamen Nenner, sondern zu einem starken Markennamen führt.

Betrachten Sie das Ergebnis einer Abstimmung immer nur als zusätzliches Stimmungs-Bild für Ihre Entscheidung. Ihre eigene Meinung zum Namen Ihres Projekts ist immer die wichtiste, denn nur Sie haben alle Aspekte der Namensfindung genauestens durchleuchtet und verinnerlicht. Und gerade die Namen, die spontan auf verschiedene Meinungen stoßen, Diskussionen auslösen oder polarisieren, sind oft diejenigen, die dann später in aller Munde sind – und überzeugen.

Wer von seinem Namen begeistert ist und diesen entsprechend "lebt" wird damit auch Erfolg haben. Mit oder ohne Abstimmung!


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