Namestorm-Gründer Mark Leiblein und Mitgründer Marcel Hiller sind seit Mai 2024 unterwegs. Im Urlaub? Nein – die beiden leben und arbeiten mobil. Wir wollten unbedingt erfahren, wie es sich als Extreme-Remotler lebt. Hier ist das Interview mit Mark dazu.
Wie seid auf das Abenteuer „100% mobil“ gekommen?
Die Idee folgte dem langehegten Wunsch, von jedem Ort aus arbeiten zu können. Weil dieses Vorhaben eine Menge Veränderungen mit sich brachte, mussten wir uns darauf ein ganzes Weilchen vorbereiten. Zunächst hatten wir vor einigen Jahren das Namestorm-Büro in der Münchener Innenstadt aufgeben müssen, weil der Mietvertrag auslief. Da dort bezahlbare Immobilien Mangelware sind, hatten wir uns als Zwischenlösung zunächst ein Home Office mit allem Drum und Dran eingerichtet. Es stellte sich heraus, dass uns dieses neue Arbeitsumfeld gut gefällt und es einige Vorteile mit sich bringt. Vereinfacht gesagt: Statt morgens durch den Verkehr, lieber länger mit dem Hund raus und statt abends wieder heimfahren, lieber eine Runde joggen gehen können. Für wichtige Meetings und Workshops haben wir uns passende Co-Working-Räume ausgesucht oder waren (uns sind) direkt bei unseren Kunden vor Ort.
Das reine Remote-Arbeiten waren wir zudem schon länger gewöhnt. In unserem zweiten Unternehmen NameRobot haben wir durch die räumliche Trennung aller Gesellschafter schon seit der Gründung 2010 zu 100% von unterschiedlichen Orten aus zusammengearbeitet. Da war dieses Konzept noch ziemlich unbekannt und Tools und Workflows wie heute kamen erst nach und nach auf. Vor einiger Zeit kam ein privater Umzug in den Raum Stuttgart dazu. Da der Ur-Münchner Teil in unserem Team verständlicherweise nicht mit umziehen wollte, mussten wir uns weiter umorganisieren.
Parallel kamen die Umwälzungen durch die Corona-Zeit hinzu verbunden mit dem Durchbruch von Video-Konferenzen und anderen digitalen Möglichkeiten. In dieser Zeit haben wir bei Namestorm alle Prozesse auf online umgestellt, von der Buchhaltung bis hin zu Kreativ-Workshops mit Dutzenden Teilnehmenden. Das war mit viel Arbeit verbunden, lief aber erstaunlich gut. Unterm Strich sogar noch besser als vorher.
100% remote und mobil als nächster Schritt
2023 kamen wir irgendwann auf die Idee, das Ganze noch weiter auf die Spitze zu treiben. "Wieso brauchen wir eigentlich noch ein Haus oder eine Wohnung, wenn wir auch unterwegs von überall aus arbeiten können?", war unsere Überlegung. Dazu muss ich noch einschieben, dass wir seit einigen Jahren einen Camper besitzen, den wir Stück für Stück zum „Rolling Office“ umgebaut haben. Wir haben also schon auf vielen kleineren Trips zu unterschiedlichen Orten und Jahreszeiten die Tücken kennengelernt, die das Wohnen und Arbeiten auf vier Rädern mit sich bringen. Als nächstes war hartnäckige Überzeugungsarbeit nötig, um auch meinen Reisebegleiter Marcel von diesem Vorhaben zu überzeugen und alle Zweifel auszuräumen. Und dann startete die Planung und es blieben noch etwas über drei Monate, um alles zu organisieren. Es wurde verkauft, verschenkt, verschrottet, was das Zeug hält. Das restliche Mobiliiar fand ein neues Zuhause in einem Lager. Von da an gab es keinen Abend und kein Wochenende mehr ohne ellenlange To-do-Listen abzuarbeiten und Dinge von A nach B zu packen. Bis sich schließlich der 1. Mai näherte und es tatsächlich losging Richtung Skandinavien.
Eine Video-Konferenz aus dem Wald in Schweden sorgt für angeregte Unterhaltungen
Wie habt ihr euch im Detail vorbereitet?
Bei der Vorbereitung gab es verschiedene Bereiche. Am schwierigsten war die persönliche Seite. Nicht alle Planungen liefen problemlos ab und es kamen immer wieder Zweifel auf, ob das wirklich so eine gute Idee war. Auch im Verwandten- und Freundeskreis gab es zwar teils Bewunderung, aber auch Verwunderung über unser Vorhaben. Unter Kollegen und Kolleginnen war es zum Glück kein großes Thema, sondern wurde gespannt mitverfolgt. Die waren das flexible Zusammenarbeiten schon längst gewohnt. Die eigenen Zweifel hatten dann schließlich keine Chance mehr, schließlich gab es ab dem 30. April kein festes Dach mehr über dem Kopf. Also hieß es Augen zu und durch.
Der zweite Punkt ist die technische Ausstattung und Infrastruktur, um auch vernünftig von unterwegs arbeiten zu können. Dinge wie stabiles Internet und autarke Energieversorgung, mobile Monitore und Sicherheitsvorkehrungen. Gerade der letzte Punkt hatte uns im Vorfeld beunruhigt, da in den einschlägigen Foren immer wieder über Einbrüche in Camper berichtet wurde - mit Diebstählen und Betäubungsgas-Aktionen. Auch wenn es keinen 100%igen Schutz gibt, haben wir unser Gefährt mit allerhand Schikanen zu einem kleinen Fort Knox ausgebaut. Dann musste noch geplant werden, wie die künftige Zusammenarbeit bei Namestorm gestaltet werden kann und wie wir das im Team gemeistert kriegen. Da wir häufig an wechselnden Orten sind, lassen sich z.B. wöchentliche Jour Fixe nicht immer so gut umsetzen. Da haben wir jedoch Mittel und Wege gefunden uns zu organisieren. Zu guter Letzt stand die eigentliche Routenplanung an. Die litt dann leider unter dem Zeitmangel und beschränkte sich letztendlich darauf: am 6. Mai auf die Fähre nach Schweden und am 11. Mai nach Malmö zum Eurovision Song Contest, dann weiter "irgendwo" Richtung Norden für die nächsten Monate. Den weiteren Verlauf und das Finetuning mussten wir dann von unterwegs planen.
Wo wart ihr bis jetzt überall?
Tja, aus den paar Monaten Skandinavien sind dann erst mal nur sechs Wochen Schweden geworden. Die waren zwar spannend, jedoch kam es zu einem vorläufigen Ende. Unsere treue Hündin Ally, die unersetzliche Dritte im Bunde, verstarb überraschend während der Tour. Das hat uns stark mitgenommen und uns war sofort klar, dass wir erst mal den Rückzug in die Heimat antreten wollten. Wir waren dann einige Zeit bei der Familie, um alles zu verdauen und uns zu sammeln.
Nach ein paar Wochen setzten wir die Tour wieder fort. Jedoch ging es nicht wieder nach Skandinavien, sondern in die andere Richtung, nach Kroatien. Dort gab es die Möglichkeit auf einem großen Grundstück zu stehen. Das hatte so gut gepasst, dass daraus einige Wochen wurden, die wir hier verbrachten. Auch wenn das gar nicht geplant war und wir eigentlich so grob am Nordkapp hätten sein sollen. Erst im Nachhinein wurde uns klar, dass das das mobile (Van) Life ausmacht – nicht zu genau und zu lang im Voraus planen und flexibel bleiben, wenn sich bestimmte Dinge ergeben. Nach der Zeit am Mittelmeer gab es noch einen kleinen Abstecher nach Österreich und aktuell sind wir wieder auf Visite in Deutschland, wo es jede Menge zu regeln gibt und wir uns auf Familie und Freunde freuen. Das schöne Herbstwetter hat uns länger bleiben lassen als geplant. In wenigen Tagen soll es jedoch weitergehen. Grobe Planung ist Portugal über die Wintermonate.
Vermissen wir: Ally - unsere Begleiterin auf Reisen und in allen Lebenslagen!
Was waren die größten Hindernisse, die euch bis jetzt begegnet sind?
Wo soll ich anfangen? Eine kaputte Fähre, Motorschaden, nicht mehr auffindbare Gegenstände. Und tatsächlich kam es auch zu einem Einbruchversuch. Wir wähnten uns in Sicherheit, als wir uns nur eine gute Stunde in einem IKEA aufhielten und den Camper auf dem Parkplatz davor abstellten. In der Zeit hatte sich jemand über unser WoMo hergemacht und dabei sämtliche Schlösser demoliert. Aufgrund unserer Vorkehrungen haben sie es zumindest nicht geschafft ins Innere zu gelangen. Aber es hat dann einen ganzen Rattenschwanz an Maßnahmen nach sich gezogen mit Polizei, Versicherung, Schlüsseldienst und Werkstatt – das alles im Ausland. Nach einigem Hin und Her haben wir kurzerhand das kaputte Schloss der Hecktüre selbst aufgebohrt, damit wir an unsere Sachen kommen, und sind mit halber Sicherheitsausstattung und nur noch einem Schlüssel weitergefahren.
Was macht das "Remote Leben" mit euch und dem kreativen Arbeiten?
Viele Leute wünschen uns nach wie vor „einen schönen Urlaub“. Damit hat unsere Reise aber praktisch gesehen wenig zu tun. Wir haben lediglich unser festes gegen ein rollendes Zuhause eingetauscht und arbeiten ähnlich viel wie zuvor, nur von wechselnden Orten in Europa, was natürlich sehr schön und inspirierend sein kann. Ich will es nicht über-romantisieren, denn man ist jeden Tag auch viel mit ganz alltäglichen Dingen beschäftigt, über die man sich sonst Zuhause gar keine Gedanken machen muss: reichen Strom und Wasser? Wo können wir entsorgen? Wo gibt es die nächste Dusche oder Waschmaschine?
Man gewöhnt sich aber daran, mit weniger Dingen und Komfort auszukommen. Der mir wichtige Vorratsschrank mit gesunden Lebensmitteln ist platztechnisch nur eingeschränkt vorhanden, die Klamottenauswahl auf das Nötigste reduziert; ebenso Medikamente, Pflegeartikel und Küchenutensilien. Erst ist es lustig, dann nervt es, dann gewöhnt man sich dran und man wird zwangsläufig gelassener und freundet sich mit Sachen oder Lösungen an, die man sich vorher nicht vorstellen konnte. Ein komisches Gefühl ist es, dass man nie „nach Hause“ fahren kann, in die eigenen vier Wände, gerade wenn mal was schief geht oder nervt. Stattdessen gibt es Besuche im Lager, wo man oft nur mit Mühe das findet, was man dringend sucht. Kurzum: vieles ist anders, improvisierter und überraschender. Für die Kreativität sind die ständigen Veränderungen eine gute Sache. Ich hatte zwar noch nie ein Problem damit, kreativ zu arbeiten; aber die wechselnden Begebenheiten und vielen Eindrücke sorgen für frisches Ideen-Futter und neue Perspektiven.
Das Namestorm Tech-Zelt: gute ausgestattet mit luftiger Atmosphäre
Gibt es Dinge, die euch fehlen?
Da gibt es einiges: Einfach mal auf eine Taste beim Kaffeevollautomaten drücken wäre schon mal wieder cool. Auch andere Gerätschaften fehlen hin und wieder sowie der permanente Zugang zu all den Dingen, die man sonst so in den eigenen Räumen verstaut oder gelagert hat. Mir persönlich fehlt auch manchmal die gewohnte Auswahl deutscher Drogerieketten oder ein Dinkel-Sauerteig-Vollkornbrot (das ich dann halt selber backen muss).
Wie klappt der Kontakt mit dem Team und den Unternehmen, die euch beauftragen?
Die Zusammenarbeit klappt fast reibungslos. Die regelmäßigen echten Treffen gehen uns natürlich schon ab. Aber wir freuen uns umso mehr jedes Mal, wenn wir uns zumindest digital sehen dürfen. Zu besonders wichtigen Anlässen kommen wir aber natürlich auch persönlich vorbei und bauen das in unsere Routenplanung mit ein. Und dann gibt es ja immer noch unser starkes Team in München vor Ort, das vieles erleichtert oder möglich macht.
Die Unternehmen, die uns beauftragen, haben durchwegs gar kein Thema damit, dass wir nicht in einem festen Büro sitzen. Da mittlerweile in jeder Branche Video-Konferenzen und Remote Arbeiten gang und gäbe sind, ist es überhaupt kein Problem, Kundentermine von wo auch immer auf der Welt abzuhalten. Vorausgesetzt, die Internetverbindung steht. Und sollte letzteres mal nicht der Fall sein, übernehmen die Kolleginnen und Kollegen mal ein Meeting. Oft ergeben sich sogar tolle Gespräche über das Geschäftliche hinaus, wenn im Hintergrund typisch schwedische Häuschen oder die kroatische Küste zu sehen sind.
Schafft ihr es auch unterwegs auf Nachhaltigkeit zu achten?
Nachhaltigkeit liegt mir seit jeher am Herzen und wir versuchen auch unterwegs auf unterschiedliche Dinge zu achten. Wir müssen schon grundsätzlich sparsam mit allen Ressourcen umgehen: Wasser, Strom, Wärme sind auf der Reise sehr wertvoll, weil sie nur begrenzt zur Verfügung stehen. Auch bei den Lebensmitteln ist weniger mehr, da man bei Lagerung und Gewicht schnell an die Grenzen stößt. Müll ist manchmal ein Problem. So gibt es zum Beispiel ausgerechnet in Deutschland auf den städtischen Stellplätzen häufig keine Möglichkeit, den Müll getrennt zu entsorgen. Papier, Glas, Plastik auf kleinem Raum aufzubewahren ist nicht leicht. Und manchmal landet dann notgedrungen alles im Restmüll, wenn es gar nicht anders geht. In diesen Fällen schreibe ich aber auch mal die Gemeinden an und weise auf das Problem hin. Unterm Strich denke ich, dass wir einen relativ geringen Fußabdruck hinterlassen. Der Diesel ist so ein Punkt, für den wir noch keine richtige Lösung bzw. Alternative gefunden haben. Daher schauen wir immer, möglichst lange an einem Ort zu bleiben und von dort aus mit dem E-Bike oder dem ÖPNV die nähere Umgebung zu erkunden. Ansonsten produzieren wir über Solar ausreichend Energie, um alle technischen Geräte damit versorgen zu können.
Was gebt ihr jemandem mit, der auch mit dem Full-Remote-Gedanken spielt und zuhause „die Zelte“ abzureißen?
Erstmal probeweise oder in Etappen starten und ein Gefährt mieten. Wir waren auch zunächst mit dem Mietmobil an den deutschen Küsten, in Australien und den USA unterwegs, bevor wir uns ganz darauf eingelassen haben. Und die Zelte komplett abreißen muss man ja auch nicht gleich. Dann ist es noch ein Unterschied, ob man selbständig oder angestellt ist. In beiden Fällen muss man sich mit den jeweiligen arbeitsrechtlichen, steuerlichen und versicherungstechnischen Dingen auseinandersetzen.
Welche Länder sind auf der Bucket-List? Und werdet ihr wieder „sesshaft“?
Wir können noch nicht genau sagen, wie lange wir auf diese Art unterwegs sein werden. Vielleicht suchen wir uns schon nächstes Jahr eine neue feste Bleibe? So eine Homebase hat schon auch sein Gutes. Einen größeren Wunsch haben wir auf der Liste: mit dem Wohnmobil ein halbes Jahr durch Kanada!
Vielen Dank für die spannenden Einblicke, die ihr uns gegeben habt! Wir wünschen euch, dass der Traum von der Kanada-Tour in Erfüllung geht und ihr noch viele wunderbare Erlebnisse habt – ob mobil oder sesshaft.
Viele Grüße aus Europa!